Wissenschaft erlebbar machen

Auftritt der Gummibären

Bild: © GDCh-Jahresbericht 2012   

Einfache Experimente im Kindergarten. Die Kleinen sind begeistert

Von Wolfgang Blum

19. November 1998 /  Quelle: (c) DIE ZEIT Nr. 48/1998

Die Aufgabe ist nicht einfach: "Die beiden Gummibärchen möchten tauchen, ohne nass zu werden", erklärt Gisela Lück.1) "Denn wenn sie feucht werden, wird ihre Haut so klebrig. Das mögen die nicht." Sieben Kindergartenkinder grübeln vor zwei Gläsern und einer großen, mit Wasser gefüllten Schüssel. Nach und nach kommen die ersten Vorschläge. "Das Wasser ausschütten und die Gummibären auf den Boden der Schüssel legen", meint Viktoria. Arndt will lieber einen wasserdichten Taucheranzug nähen.

Gisela Lück lenkt die Aufmerksamkeit der Kinder auf die Gläser. Eines ist mit Wasser gefüllt, das andere leer. Mit der Öffnung nach unten taucht die 41jährige Chemikerin das leere Glas ins Wasser und holt es wieder heraus – zur Überraschung der Kinder ist seine Innenseite ganz trocken geblieben. Nochmals wird es ins Wasser gestülpt und leicht gekippt. Blasen steigen auf. Woraus die bestehen? "Aus Luft." Also war das Glas doch nicht ganz leer. "Aber wo schon etwas ist, kann kein anderer Gegenstand sein", erklärt Gisela Lück.

Rund vierzig Kinder aus Berliner Kindergärten und Grundschulen erleben so ihre erste Chemie-Stunde. Eingeladen hat die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), deren Präsident Erhard Meyer-Galow die Kleinen möglichst früh an das Fach heranführen will, um langfristig das schlechte Image der Branche zu überwinden. "Chemie – das ist, wenn ein Gabelstapler umstürzt und dann ganz giftige Sachen auf den Boden fallen", zitiert Lück einen Sechsjährigen. Um diesem Eindruck entgegenzuarbeiten, macht die Chemie-Didaktikerin seit drei Jahren viermal die Woche in den Kindergärten naturwissenschaftliche Experimente.

"Je eher wir mit naturwissenschaftlicher Bildung anfangen, gerade auch spielerisch im Vorschulalter, desto größer wird später das Interesse der Schüler sein", zeigt sich Meyer-Galow überzeugt. Schließlich kommt auf die deutsche Chemie-Industrie ein massiver Mangel an Nachwuchs zu, nahmen doch die Studentenzahlen in den vergangenen Jahren rapide ab. Aber lässt sich der Standort Deutschland wirklich im Kindergarten retten? Bringen die Steppkes überhaupt genügend Konzentration auf, um den Experimenten folgen zu können?

Nach der gängigen Lehrmeinung, gesteht Gisela Lück, seien Kinder im Alter von fünf, sechs Jahren noch nicht fähig, wissenschaftliche Zusammenhänge zu erfassen. Ihrer Erfahrung nach stimme das jedoch nicht. Nach dem Tauchgang der Gummibärchen sei allen Kindern klar, dass Luft Wasser verdränge. Und wenn die Nachwuchsforscher Zucker und Salz in Wasser auflösen und durch eigenes Probieren lernen, dass die Stoffe nicht verschwinden, sondern erhalten bleiben – dann wird für Lück bereits der Grundstock ökologischen Denkens gelegt.

Bild: © GDCh-Jahresbericht 2016

"Wenn die Kinder etwas nicht vollständig verstehen, bleibt es dafür um so besser im Kopf und wird später nachgefragt", behauptet die Didaktikerin. Gerade in der Phase, in der die Kinder bereits gelernt hätten, sich zu bewegen und zu reden, seien sie besonders motiviert: "Die meinen, wenn sie das noch wissen, sind sie erwachsen." Auf die Idee, Physik und Chemie in den Kindergarten zu bringen, kam Lück durch das Fernsehen. Sonntag für Sonntag zieht die Sendung mit der Maus 1,9 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm, nicht nur mit Käpt'n Blaubär und Hein Blöd, auch mit ihren wissenschaftlich angehauchten Sachgeschichten.

Inzwischen hat Lück eine Mappe zusammengestellt, in der sie zwölf aufeinander abgestimmte Versuche beschreibt. Die nötigen Materialien gibt es fast in jedem Haushalt: Schüsseln, Gläser, Kerzen, Essig, Zuckerwürfel, Münzen. Im Frankfurter Raum nahmen in 55 Kindergärten und -tagesstätten mehr als 500 Kinder an einem Pilotprojekt teil. Auf Fragebogen äußerten sich die Erzieher hinterher allesamt positiv. In Köln und Kiel werden regelmäßige Fortbildungen für die Betreuer angeboten.

Eines ist jedoch schon im Kindergarten genauso wie in der Schule: der Vorführeffekt. Als Lück vor den Berliner Kindern eine Kerze mit dem Kohlendioxid löschen will, das aus einer Soda-Essig-Mischung perlt, brennt die Flamme munter weiter.

Mappen mit zwölf Versuchsbeschreibungen gibt es bei der Gesellschaft Deutscher Chemiker e. V., Abt. Ausbildung, Postfach 900440, 60444 Frankfurt am Main, Fax: 069/7917-322, Beutel mit Versuchsmaterial bei Aventis Research & Technologies, Tel: 069/305-2282

 

1)  Heute Professorin für Didaktik der Chemie an der Universität Bielefeld. Damals tätig in der Wissenschaftspublizistik und Mitautorin des Römpp-Chemie-Lexikons. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Naturwissenschaftsvermittlung im Vorschul- und Grundschulalter.